Einfach wie Tesla? Die Auswirkungen autonomen Fahrens auf E/E-Architekturen
Dezember 1, 2020Thomas Nickl
Director Sales & Business Development GuardKnox EU GmbH
Tesla ist zum wertvollsten Autohersteller der Welt aufgestiegen, der Aktienkurs eilt von Rekord zu Rekord. Neben dem klaren Bekenntnis zur Elektromobilität erfreut Investoren insbesondere Elon Musks Versprechungen beim autonomen Fahren. Die Technologie entwickelt sich zwar allgemein rasant weiter, doch Musk äußerte sich öffentlich mehrfach dahingehend, dass Tesla viel früher als die meisten seiner Konkurrenten selbstfahrende Autos liefern könne: Er versprach gar 1 Million Robotaxis bis Ende 2020. Derzeit hat Tesla eine „frühe Beta-Version“ seiner „Full Self-Driving (FSD) Software an ausgewählte Besitzer in den USA verteilt. Innerhalb weniger Tage zeigten Videos im Internet, wie Autos sicher über Straßen und Kreuzungen navigierten, aber auch zahlreiche Situationen, in denen der Fahrer die Kontrolle vom Computer wieder übernehmen musste, um eine Gefahr zu verhindern. In Wahrheit beweisen diese Videos auch, wie weit FSD noch von voller Autonomie entfernt ist. Im Folgenden vergleichen wir FSD mit „echtem“ autonomen Fahren und sprechen über die Auswirkungen dieser Technologie auf die E/E-Architekturen von zukünftigen Fahrzeugen.
Der Unterschied zwischen FSD und autonomen Fahren
Trotz des irreführenden Namens ist FSD nicht das, was gemeinhin als autonomes Fahren definiert wird. Die Standardisierungsorganisation SAE International definiert sechs Stufen des autonomen Fahrens, von Level 0 (keine Automatisierung) bis Stufe 5 (volle Autonomie). Diese Autonomiestufen dienen als internationale Referenz der Branche [1] und wurden auch von der US-Bundesbehörde für Straßen- und Fahrzeugsicherheit NHTSA übernommen. Einige Tesla-Fans behaupten, dass FSD der Autonomiestufe 3 entspreche, aber stimmt das? Nein, denn der wesentliche Unterschied zwischen Stufe 2 und 3 besteht darin, dass in Stufe 2 der menschliche Fahrer die Umgebung überwacht, während bei Stufe 3 das automatisierte System diese Aufgabe übernimmt. Die NHTSA formuliert es so: „Vom Fahrer wird nicht erwartet, dass er die Straße während der Fahrt ständig überwacht“ [2]. Systeme, die irgendeine Überwachung durch einen Fahrer erfordern, sind deshalb nicht „selbstfahrend“ und sollten deshalb auch nicht so bezeichnet werden – schon gar nicht zu Marketingzwecken. Teslas FSD lässt sich derzeit als System der Stufe 2 oder 2+ beschreiben. Elon Musk selbst erklärte auf der World Artificial Intelligence Conference WAIC in Shanghai, dass Tesla „sehr nahe“ an der Level-5-Autonomie sei [3].
Autonomes Fahren: Redundanz ist der Schlüssel zum Erfolg
Redundanz ist unerlässlich, wenn es darum geht, die nächsten Schritte hin zu echtem autonomen Fahren zu beschreiten, insbesondere bei sicherheitskritischen Systemen wie Bremsen oder Lenkung. Ein Auto transportiert ganze Familien, Sicherheit sollte deshalb ganz selbstverständlich im Mittelpunkt stehen. Im Jahr 2019 verloren allein in den USA schätzungsweise 38.800 Menschen bei Autounfällen ihr Leben [4]. Autonomes Fahren sollte diese Zahl natürlich reduzieren. Selbstfahrende Autos wurden zwar bereits erfolgreich unter kontrollierten Bedingungen getestet [5], aber der Übergang zum öffentlichen Straßenverkehr bleibt extrem schwierig. Die Industrie folgt derzeit dem Weg der Luftfahrt, wo Redundanz selbstverständlich ist. Einige Steuerungssysteme verfügen sogar über eine dreifache Redundanz und sind auch entsprechend zertifiziert. Die einfachste Möglichkeit der Redundanz besteht darin, jedes System doppelt vorzuhalten, so dass im Falle eines Ausfalls ein sekundäres System einspringen kann. Aber moderne Autos sind bereits mit einer Vielzahl verschiedenster Sensoren wie 8 – 12 Kameras, Laser- und Radargeräten und zahlreichen elektrischen Komponenten ausgestattet, die sie mit Informationen über die Fahrzeugumgebung versorgen. Hier stets eine zweite Komponente als Ersatz zu verbauen wäre kostenintensiv und in Zukunft vermutlich überhaupt nicht mehr skalierbar. Ingenieure müssen also andere Wege gehen, um ein sicheres, redundantes System zu erreichen.
Software und E/E-Architektur bilden den Kern zukünftiger Mobilität
Ein vielversprechender Ansatz besteht darin, die Stärken der einzelnen Sensoren zu mischen. Beispielsweise bieten LiDAR und Radar Redundanz bei der Objekterfassung, während hochdetaillierte Karten eine zuverlässige Redundanzquelle für die Kameras darstellen. Indem sie sich gegenseitig unterstützen, hat das Fahrzeug auch dann noch alles im Blick, wenn ein einzelner Sensor ausfällt. Da alle Sensoren miteinander verbunden sind und jede Sekunde eine hohe Menge an Daten austauschen, ist eine gut durchdachte E/E-Architektur erforderlich, um diesen Datenaustausch zu ermöglichen und widersprüchliche Informationen schnell auszusortieren. Ein weiteres Anwendungsbeispiel: Um das Kartenmaterial in Echtzeit auf dem neuesten Stand zu halten, ist eine leistungsfähige Verbindung zwischen dem Fahrzeug und externem Cloud Computing erforderlich. Eine Fahrzeugflotte sendet ihre neuesten Bilder der Umgebung direkt in die Cloud, der Server aggregiert diese Daten zu einer hochdetaillierten Karte und sendet sie an die Fahrzeuge auf der Straße zurück. Ein autonomes Fahrzeug benötigt daher leistungsfähige Hardware, die Deep-Learning-Algorithmen und neuronale Netze verarbeiten kann. Außerdem ist sehr wichtig, dass Hard- und Softwarekomponenten einer Vielzahl unterschiedlicher Anbieter leicht untereinander und mit anderen Sensoren zusammenarbeiten können. Nur durch die Kombination verschiedener Datenquellen, einschließlich externer Daten aus der Cloud und V2X-Infrastruktur, kann ein hochgenaues und redundantes Abbild der Umgebung erstellt werden. Mit der klassischen E/E-Architektur können diese Anforderungen nicht erfüllt werden, da sie bereits in den letzten Jahren erkennbar an ihre Skalierbarkeitsgrenze gestoßen ist.
Der Paradigmenwechsel in E/E-Architekturen
OEMs und Zulieferer auf der ganzen Welt benötigen eine hochmoderne Plattform, die so konzipiert ist, dass sie die zukünftige Hard- und Software für autonome Fahrzeugfunktionen flexibel integrieren kann. Darüber hinaus sollte sie auch in der Lage sein, Legacy-Komponenten der heutigen Fahrzeuggeneration zu integrieren. GuardKnox verwendet daher eine zonale E/E-Architektur, um den Wandel zu serviceorientierten und softwaredefinierten „Computern auf Rädern“ zu unterstützen. Diese speziell für die Automobilindustrie entwickelte zonale Architektur führt zwei neue Geräteklassen ein, den „Vehicle Server“ und das „Zonale Gateway“, die die Anzahl der physikalischen Steuergeräte reduzieren und die Verwendung von Ethernet und einer Vielzahl hybrider Topologien ermöglichen.
Eine wesentliche Stärke der zonalen Architektur besteht darin, dass ihre Funktionalität vollständig von der physischen Hardware entkoppelt ist. Rechenelemente sind nicht mehr an einen physischen Ort, eine Form oder sonstige Einschränkungen gebunden. Stattdessen wird die Funktionalität als ein Pool von Ressourcen betrachtet, der verteilt und mit Aufgaben zu versehen ist. Fahrzeugfunktionalitäten müssen sich nicht einmal mehr im Fahrzeug befinden. Ähnlich zu heutigen Smartphone-Ökosystemen können Daten von Cloud Servern verarbeitet werden, wodurch der Bedarf an Rechenressourcen an Bord reduziert wird.
FAZIT
Zonale E/E-Architekturen sind der Schlüssel für die Mobilität der Zukunft und Teil der Antwort auf den Paradigmenwechsel in der Automobilindustrie [6]. GuardKnox bietet eine hochmoderne E/E-Architektur an, die flexibel, sicher und skalierbar ist. Und das unabhängig davon, welche oder wie viele Sensoren angeschlossen werden oder welcher Softwarestack darin läuft. Dies gibt den OEMs die Möglichkeit, die vielfältigen Chancen zu nutzen, die autonome Fahrzeugplattformen im nächsten Jahrzehnt bieten werden.
[1] https://www.sae.org/news/2019/01/sae-updates-j3016-automated-driving-graphic
[3] https://www.reuters.com/article/us-tesla-autonomous-idUSKBN24A0HE
[4] https://www.nsc.org/road-safety/safety-topics/fatality-estimates
[5] https://blog.waymo.com/2020/10/waymo-is-opening-its-fully-driverless.html